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Legenden

Sturmaugen

Es war noch immer früh am Morgen, als der Fremde auf seinem schwarzen Pferd über die Weiden auf das Dorf zutrabte. Sehr früh. Die senkrechten Nebelstreifen stiegen noch immer aus dem Gras auf. Sommerfäden nannte man sie, und ihre Mutter hatte ihr erzählt, daß die Erde sie in dieser Zeit des Jahres freisetze, damit Gott das Garn hat, das ER braucht, um den Sommer zu weben. 
     Meara lächelte. Die Fäden entstanden, weil der Boden noch kalt und die Morgensonne in dieser Jahreszeit bereits genug Kraft hatte, den verblüffenden Effekt hervorzurufen. Eigentlich sollten sie Winterfäden heißen, dachte sie, weil der gefrorene Boden noch immer dem Winter gehörte und die niedrig stehende Sonne seinen Pullover aufribbelte.
     Das rötliche Frühlicht schimmerte auf dem Reiter, ließ langes, seinen Rücken hinunter fließendes Haar golden aufglühen, obwohl sein blasses Gesicht in den Schatten verborgen blieb, als ob unberührt vom roten Licht der Morgensonne – und das schwarze Fell des Pferdes unter ihm schien das Licht zu trinken. Nicht eher als jetzt bemerkte sie, daß kein Silber, nicht einmal einfaches Metall am Zaum glitzerte und selbst die Gebißstange schien schwarz zu sein schien.
     Sie erstarrte, als sie schließlich sein Gesicht erkennen konnte. Wie schade. Jungen wie er wurden selten zu Männern. Ein Gesicht wie dieses verursachte zu früh zu ernsthaften Ärger, als das die Streitereien und Kämpfe zu vermeiden waren, die die schlanken Glieder lang vor der Zeit zerbrechen würden. Fünfzehn Jahre alt, dachte sie, vielleicht sechzehn. Sein Haar glühte im frühen Sonnenlicht wie flüssiges Gold und dieses Mal erreichte das Licht auch sein Gesicht, ließ blasse, cremefarbene Haut aufschimmern. Es wäre ein Wunder, würde er auch nur siebzehn mit diesem Gesicht...
     "Entschuldigt," eine Stimme drängte sich in ihre Gedanken und sie brauchte einen Moment zu bemerken, daß er sein Pferd keine fünf Schritte von ihr gezügelt und gesprochen hatte. Sie hatte sich geirrt. Das war kein zu hübscher Jüngling – obwohl er das ohne Zweifel einmal gewesen war – aber die Stimme gehörte zu einem Mann. Einem Erwachsenen. Da war keine Spur mädchenhafter Höhe oder die Dissonanz des reifenden Jungen in ihr. Erwachsen. Und nun sah sie auch den Schwertgriff über seine rechte Schulter ragen, beinahe verborgen in dem fließenden Haar, das bis auf den Sattel hinunterreichte und sich wie ein weites Cape um ihn herum bewegte.
     "Ist dieses Dorf Ashford?" fragte er und sie nickte. "Ja. Soll ich Sie zu unserem Dorfältesten bringen?"
     "Danke. Das wäre sehr freundlich. Darf ich Ihren Namen erfahren?" Sie schluckte. Namen trugen Macht, große Macht, nicht einmal des Gottes Priester leugneten das und sie leugneten fast alles andere, das ihre Kirche nicht erfunden hatte. Es war niemals klug, seinen Namen einem Fremden zu nennen. "Ich heiße Robin," sagte er unbekümmert, so als wäre es nichts bedeutsames, und gestattete ihr einen einfachen Austausch damit. "Ich bin Meara." Ein Schatten flog über sein Gesicht, ein Hauch von Ärger, aber seine Stimme war unverändert, als er fortfuhr – hell aber sonor, mit Macht darin, die sie an Wasser erinnerte, so weich, und doch stark genug, Gebirge zu schleifen. "Bitte vergib mir, daß ich nicht absitze, Meara. Ich weiß, es ist unhöflich zu reiten, wenn ein Begleiter zu Fuß gehen muß."
    "Ich verstehe dich," sagte sie leise, "wenn die Gottheit mich so reich beschenkt hätte, wie ER dich beschenkt hat, wäre es mir auch lieber, ein fremdes Dorf beritten zu erkunden." Ein Lächeln blitzte in seinem Gesicht auf und war genauso rasch verschwunden wie der Schatten aus Ärger zu vor, sie daran erinnernd, daß sie es nicht mit einem viel zu hübschen aber harmlosen Jungen zu tun hatte, sondern– "Gott gewärte dir ein wunderschönes Pferd, Robin," stellte sie klar. "Und ein viel zu hübsches Gesicht," beendete er, sie direkt ansehend, ihren Satz trocken. Und jetzt sah sie seine Augen. Grau. Und Blau. Mit Türkis- und Silberflecken darin, und einem Funken Gold: die Farbe des Himmels kurz vor dem Sturm.

Hexenschuß

Es war das Bellen der Hunde, das ihn aufmerksam werden ließ. Nicht sein ohrenbetäubender Lärm, sondern sein plötzliches Fehlen. Dabei waren die drei großen Wolfshunde mit ihrer Wachsamkeit sein ganzer Stolz. Niemand würde jemals seinen Besitz betreten, ohne lautstark und unüberhörbar von seinen Hunden angekündigt zu werden. Und nun benahmen sie sich, als würden sie nie wieder in ihrem Leben bellen. Selbst, Roy, sein stärkster Rüde, tat nichts außer hinter ihm sitzen und seine Stiefel mit der Nase anzustupsen.
     Liam runzelte die Stirn und ließ seinen Blick dem der leise winselnden Hunde folgen, die den Weg von den Weiden herauf entlang starrten, die Schwänze zwischen die Beine geklemmt. Das Licht war noch immer gefärbt, das Morgenrot noch nicht völlig verschwunden. Und die winzigen Figuren eines Reiters und daneben jemandem zu Fuß wurden rasch größer. Es dauerte nicht lange, bis er den Läufer erkannte: seine Schwester.
     Die Falten in seiner Stirn vertieften sich. Er hat ihr mehr als einmal gesagt, sie solle sich nicht allein auf den Weiden herumtreiben. Schon gar nicht zu einer Zeit, wenn keine Frau von Stand, und mit Sicherheit keine unverheiratete Frau von Stand, unterwegs war. Aber er hatte schon lange, bald nach dem Tod ihrer Eltern begriffen, warum ihre Mutter sie immer Meara – wildes, hemmungsloses Lachen – gerufen hatte, anstatt den Namen zu gebrauchen, den der Priester für sie gewählt hatte: Mary. Der alte Name entsprach ihrem Wesen viel besser als der fromme, aber das machte es kein bißchen einfacher mit ihr. Er hatte gehofft, einen ehrbaren Ehemann für sie zu finden, schließlich war seine Schwester eine wahre Schönheit und sie waren eine mehr als respektable Familie, aber die Freier hatten bald gelernt, daß Meara alles andere als zahm und gehorsam war, alles andere als verheiratet zu sein wünschte. Und sie war stolz genug, mit ihrem Gesicht, ganz blass und schwarz, um jeden Mann davon zu überzeugen, daß er ihrer nicht wert war. Am Ende hatte nur einer es gewagt, bei ihm um sie anzuhalten, und er war froh darüber gewesen, denn John McLann war einer der best-situierten Männer des Tales und für sein freundliches Wesen bekannt.
     Liam seufzte. Er hatte nie erfahren, was in der Nacht, nachdem der Priester die Zeremonie abgehalten hatte, geschehen war. Aber kurz nach Mondaufgang hatte seine neuer Schwager gegen die Haustür gehämmert, eine völlig unverständliche Entschuldigung gestammelt, und ohne weitere Diskussion den hohen Betrag bezahlt, den die Kirche für eine Annullierung und anschließende Revirginalisierung der Braut verlangte – obwohl Liam sicher war, daß John absolut nichts von Meara bekommen hatte.
     Mittlerweile waren die beiden Gestalten nah genug, um nicht nur seine Schwester, sondern auch den Reiter auszumachen. Er fluchte innerlich. Meara war gut darin, Ärger zu verursachen. Aber dies... Sie hob ihre Hand zum Gruß, während sie auf ihn zukam, immer noch mit den leichtfüßigen Schritten eines jungen Mädchens, obwohl sie nun schon über fünfundzwanzig war, nur zwei Jahre jünger als er. "Liam, wir haben einen Gast. Dies ist Robin und–" Sie hielt inne, als sie bemerkte, daß der Reiter sein Pferd, schwarz wie der Höllenschlund, gezügelt hatte und regungslos wartete. Liams Blick wanderte über die Züge des Fremden: ein schmales Gesicht, hohe Wangenknochen, große, leuchtende Augen, und eine Fülle goldblonden Haars. Ein Halbling. Mit Sicherheit. Schwierigkeiten. Vielleicht Gefahr. "Wer bist Du und was willst Du von uns?" fragte Liam viel weniger freundlich, als er für gewöhnlich einen Reisenden begrüßte, der vielleicht Neuigkeiten oder wertvolles Wissen aus der Welt außerhalb des Tales mitbrachte. Er sah, wie sich das Gesicht seiner Schwester ob dieser Unhöflichkeit verdunkelte, aber er war für das Wohlergehen des Dorfes verantwortlich.
     Und die ersten Worte des Reiters bestätigten seine Befürchtungen. "I hoffe auf ein paar Tage Rast, einen Raum nicht zu ebener Erde mit einem Schloß an der Tür. Auf die Möglichkeit zu einem heißen Bad und einer warmen Mahlzeit." Ein Halbling. Mit einer sanften Stimme. "Und was hast Du zu geben für all das?" fragte Liam kalt zurück.
     "Ich kann euch die Handwerkskünste zeigen, die ich gelernt habe, die Neuigkeiten erzählen, von denen ich auf meiner Reise gehört habe, und lange Geschichten am Abend." Eine weise Antwort, die Dinge, die jeder Reisende auf der Straße anbieten würde. Und von jedem normalen Mann hätte Liam sie liebend gern angenommen, hätte mit Begeisterung drei Mahlzeiten am Tag, ein Bett unter seinem eigenen Dach, Reparatur und Reinigung von Kleidung und Sattelzeug, und gesellige Runden für Geschichten angeboten. Aber Halblinge bedeuteten Ärger. Sie verführten die Mädchen, selbst die Frauen, mit ihrer Schönheit und Sanftmut. Sie säten Zwietracht und Unheil, wenn willkommen geheißen unter eines Mannes Dach. "Welche Künste kennst Du?"
     "Stricken, Knüpfen–"
     "Handarbeiten. Weiberkram. Bist Du im Stande, etwas nützliches für uns zu bewerkstelligen? Zu jagen, zum Beispiel?" Liam wußte, es war unfair, danach zu fragen. Die Jagd war ein blutiges Handwerk und es gab nicht viele Männer im Königreich außerhalb der königlichen Domänen, die es beherrschten. Und mit Sicherheit war kein zerbrechlicher, goldhaariger Halbling unter ihnen. Aber es wäre eine Ausrede, ihn abzuweisen. Rory, ihr Jäger, hatte einen Hexenschuß – einen Elfenpfeil, wie die Alten es noch immer nannten – bei seiner Arbeit in den Wäldern gestern erlitten. Und so früh im Jahr ohne einen Jäger waren ihre Vorräte knapp, so daß niemand ihn für die Weigerung, einen Gast länger als eine Nacht zu beherbergen, verurteilen würde.
     "Ich erlege meine Beute," antwortete der Reiter schlicht, saß ab und legte schlanke Finger auf die tiefschwarze Nase des Hengstes.
     Liams Stirnfalten vertieften sich noch mehr. Er hatte versucht, höflich zu bleiben, und nun war er in seiner eigenen Falle gefangen. Er seufzte leise. Wenigstens war Jagen ein zeitaufwendiges Geschäft. Der Halbling würde die meiste Zeit des Tages fort sein, und morgens und abends wäre Liam selbst da, um eine strenge Wacht über ihn zu halten. "Unser Jäger ist krank. Du kannst seine Fallen benutzen."
     "Das wird nicht nötig sein. Ich jage mit dem Bogen."
     "Ein Bogenschütze auch noch?" Liam war nahe daran, die Nerven zu verlieren. Hatte ein Bogenschütze erst einmal seine Beute erspäht, war er für gewöhnlich in ein paar Minuten fertig damit, genug Fleisch selbst für einen großen Haushalt zu machen. "Gibt es irgendwas, was Du nicht bist?"
     Ein trockenes Lächeln spielte auf den Lippen des Fremden. "Ich bin kein Lügner, obwohl Du das bezweifelst." Das ließ Liams Nerven reißen. "Wie soll ich es nicht bezweifeln? Du kommst hier her noch bevor die Sonne wirklich am Himmel ist, über die Weiden fernab von der Straße und sprichst zuerst mit meiner unverheirateten Schwester, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was sich gehört und was nicht!"
      "Sie war als einzige da," erinnerte Robin ihn sanft, nun nicht mehr als zwei Schritte von ihm entfernt. Ein Windstoß bewegte das fließende Haar und enthüllte den Griff über der Schulter.
     "Mit einem Schwert auf dem Rücken!"
     "Ich bin nicht hier, um Ärger zu machen. Ich geb dir mein Wort darauf."
     "Und was ist das wert, Goldschopf?" fragte Liam wütend. "Wir wissen nicht, ob Du ein Mann von Wort bist. Ich, persönlich, bezweifle das ganz und gar!"
     "Du bist ein vertrauenswürdiger Mann, nicht wahr?" sagte der Fremde ruhig. "Und keiner würde das jemals bezweifeln, weil Du aussiehst, wie jemand, dem man vertrauen kann. Nun, mein Haar ist blond nicht braun, meine Augen sind grau nicht braun, meine Haut ist hell nicht gebräunt, aber–"
     "Genau," Liam unterbrach ihn. "Jedermann weiß, daß solche wie Du nur Ärger machen!"
     "Weil Leute wie Du ihn immer anzetteln, Schlammkopf!" gab Robin zurück, scharf und kalt, mit blitzenden Augen. Nach einem Moment, begann Liam zu lächeln. Wenn nichts sonst, so respektierte er Mut. "Du magst bleiben. Besorg uns Wild in den nächsten Tagen, um unsere Vorräte aufzufüllen und unterhalte uns mit Geschichten am Herd, um uns zu erfreuen, und Du hast mehr als genug bezahlt für Essen und Bett, Stroh und Stall, Robert."
     "Robin," korrigierte sein Gast leise. "Einfach Robin."

Elfen und Wölfe

Liam lehnte sich entspannt zurück und beobachtete die Szene auf den Bänken rund um den großen Kachelofen mit einem verhaltenen Lächeln. Er fühlte sich immer noch nicht so ganz wohl mit ihrem Hausgast, aber Robin hatte nicht zuviel versprochen: er hatte jeden Tag Wild gebracht – zumeist Kaninchen. Und die Mythen und Legenden, die er des Abends erzählte, waren schnell zu einem Ereignis geworden – und nicht nur für die Kinder.
     Liam hatte sich selbst schon mehr als einmal dabei erwischt, den Geschichten des Halblings gebannt zuzuhören, obwohl er am Anfang über sie die Stirn gerunzelt hatte, denn es waren keine frommen Geschichten. Aber er konnte auch keine Blasphemie in ihnen entdecken, also hatte er sie auch nicht verbieten müssen. Besonders die Erzählungen über die Abenteuer der zwei Elfenprinzen von Sonne und Mond – Rhobin und Liosliath bei Namen – waren sehr beliebt bei den Mitgliedern seines Haushalts...
     "Du bist sehr sorglos mit Namen. Für jemanden mit Blutsbanden zum Alten Volk," flüsterte Meara in das Knistern des Feuers, als seine Worte verklangen, nachdem alle außer ihnen eingeschlafen waren. Er hatte gewußt, daß sein Bann sie unberührt lassen würde. "Wie kannst Du ihre Namen, die Zügel ihrer Seelen, so freizügig herausgeben? Fürchtest Du nicht ihren Zorn dafür?"
     Er lachte leise, vorsichtig seine Fänge verborgen haltend. "Was sind Namen, Meara? Sind sie irgendwas mehr als Worte?"
     "Namen tragen Macht. Du kannst jemanden binden bei seinem Namen," hauchte sie.
     "Wie ist meine Name, Meara?"
     "Robin..." Seine Augen glühten in der Dunkelheit und sie stoppte. "Das ist nicht dein Name, oder?"
     "Er ist es. In gewisser Weise."
     "Wer bist Du wirklich?" Er wiederholte seinen Namen, in der sanften, vibrierenden Art, in der er seine Legenden erzählte. In dieser Aussprache klang er ein wenig anders, wilder, trug den Hauch von Raubtieren und Äonen in sich. Und er klang vertraut... vertraut von den Geschichten, die er früher am Abend erzählt hatte. Sie warf ihren Zopf über ihre Schulter zurück, wurde zu einer Silhouette in der Nacht: ganz Silber und Dunkelheit. Ganz stolz und wild. "Du bist nicht Robert. Du hast uns angelogen," forderte sie ihn heraus. "Nein. Die Macht der Namen liegt in ihren Bedeutungen. Ohne das Wissen darüber sind sie nur Worte." Ihre Augen blitzten. "Du wirst uns nicht sagen, wer Du bist, oder?" sagte sie, mit einem vibrierenden Knurren in der Kehle, das keiner der Menschen je hören würde.
     Sein Lächeln in den Schatten des flackernden Feuers hatte etwas wölfisches, mit glitzernden Fängen und in der Finsternis glühenden Augen. Sie hatte ihr Haar fest geflochten, wie es Menschenmädchen taten, die nicht gefreit werden wollten. Frauen ihres Alters waren für gewöhnlich schon seit Jahren verheiratet und hatten Kinder an ihren Rockzipfeln. Er hatte darauf gebaut und war froh, daß er recht behalten hatte, daß sie tat, was die meisten Halblinge, gefangen unter den Menschen taten, sonst wäre die Ähnlichkeit viel zu offensichtlich gewesen. Obwohl er sich danach sehnte, es offen zu sehen, ungeflochten.
     Seine Hand glitt durch die kühle Nachtluft, als ob sie durch das nachtschwarze Haar striche. Frei. Wild.
     Wild wie die Wölfe war seine Rasse in der Vereinigung miteinander, wenn sich die Feuer entluden, die nur die eigene Art zusätzlich zum Verlangen entzünden konnte. Viele seines Volkes fürchteten sie und suchten Befriedigung, wo die Gefahr der Feuer nicht bestand. Und welche Maid in ihrem ersten Erwachen konnte dem Charme eines Sidhe widerstehen? Das war der Grund für all die unter den Menschen gefangenen Halblinge...
     Aber er war nie zahm genug, für so eine Paarung. Und er beabsichtigte nicht, es zu werden.
     Genauso wenig wie sie.
     "Feuer." Er hauchte es, in mehr als einer der Welten. Und ihre Augen weiteten sich angesichts der Macht, die er ihr über sich gab, ihrerseits einen Bann über ihn legend, der ihn von dem seinen über die Menschen ablenkte, und sie aufwachen ließ, mit den Kindern auf ihren Knien, die um eine weiteres Märchen von ihrem Gast quengelten.

Die letzte Geschichte dieser Nacht erzählte von einem wunderschönen Elfenprinzen – Tassanden – der dem Befehl der Regentin zuwiderhandelte, da er fürchtete, er würde all die Welten in Gefahr bringen, wenn er ihn ausführte. Für seinen Ungehorsam wurde der Prinz verbannt und niemand von seinem Volk sollte ihn je wieder ansehen. Aber zwei Kriegsherrinnen der Elfen waren seiner Meinung, und – da sie die Meinung der Regentin nicht ändern konnten – beschlossen, Kinder seines Blutes zu gebären. Die erste von ihnen – Nimue – schenkte einem Sohn das Leben, den sie Rhobin nannte. Die zweite – Nirage – gebar eine Tochter mit dem Namen Nat'ash'a. Der Sohn kam nach seiner Mutter, aber die Tochter folgte ihrem Vater im Aussehen, ganz silber und schwarz. Und so nahm ihre Mutter ihr neugeborenes Kind und kam zur Erde, wo sie sie mit einem totgeborenen Menschenbaby vertauschte. Fünfundzwanzig Jahre später suchte der Halbbruder nach seiner Gefährtin...
     Es war eine seltsame Geschichte, viel seltsamer als die anderen, und Liam war sich keineswegs mehr sicher, daß sie frei von Blasphemie war, denn sie schmeckte nach Inzest und Wechselbälgern, – beides Monstrositäten, die die Heilige Kirche verdammte – aber die sanften, fließenden Worte schienen seine Zweifel einzufangen und erstickten sie in der flüsternden Stille...
     Liam schreckte auf lange nachdem das Feuer niedergebrannt war und fand seine ganze Familie schlafend auf den Bänken um den Ofen vor. Alle... außer Meara und dem Halbling. Auf einmal ergab alles einen Sinn: Rory's Hexenschuß am Tag bevor ihr Gast zu ihnen kam, die sanften Worte, der funkelnde Stahl.
     Er taumelte aus dem Haus und fand den schwarzen Hengst verschwunden. Er folgte dem Weg über die Weiden, nur um eine vage Silhouette in den Wäldern verschwinden zu sehen. Er wollte weiter eilen und das Knurren von Wölfen hielt ihn auf. Fünf Wölfe saßen in einer Reihe quer über dem Weg, starrten ihn mit in der Dunkelheit blau glühenden Augen an. Liam erstarrte, aber die Sorge um seine Schwester war stärker als seine Angst vor den Wölfen und er schrie mit erhobenen Fäusten: "Sie ist meine Schwester! Was hast Du mit ihr vor? Ich muß wissen, was mit ihr geschieht. Oh Gott, Du wirst sie verletzen!"
     "Das werde ich," bestätigte eine ruhige Stimme neben dem Weg. Eine Stimme, die die Wölfe mit einem Winseln begrüßten. "Und sie mich. Denn das ist es, was wir sind." Liam sah die Silhouette eines zweiten Reiters mit langem, fließendem Haar neben ihm. "Meara, warum gehst Du mit ihm? Hat er dich verhext? Was hat er dir angeboten, das keiner deiner Werber hatte?"
     "Ich machte ihr das schlechteste Angebot von allen," antwortete die sanfte Stimme. "Nichts. Kein Haus, keine Versprechen, keine Sicherheit."
     "Meara. Du–"
     "Ja," kam die Stimme seiner Schwester aus der Dunkelheit. "Keine Regeln, keine Befehle, keine Vorschriften, keine Halsbänder."
     Liam unterdrückte ein Schluchzen und die sanfte Stimme des Elfenprinzen sagte: "Ich schulde dir für ihre Sicherheit. Ich schulde dir mein Leben. Vor einer langen Zeit bedeutete der Halbmond der Sidhe über einem Dach Sicherheit und Wohlergehen für seine Bewohner. Einst ware wir willkommene und geehrte Gäste in euren Häusern, Mensch, weil wir Sicherheit und Ehre für unsere Gastgeber bedeuteten. Aber die Welt hat sich geändert. Und nun habe ich nichts anzubieten, das Du annehmen kannst, ohne den Zorn deiner Priester auf dich herabzubeschwören. Nichts, außer einem Versprechen: Sie gehört mir nicht mehr als ich ihr gehöre. Und keiner von uns wird dich jemals vergessen. Wir werden uns erinnern, wenn die Kinder deiner Kinder alt und grau sind und sich über die Narreteien ihrer Vorfahren beklagen, werden wir die Wahrheit noch immer wissen."
     Wahrheit... das Wort hing noch immer vibrierend in der eisigen Nachtluft, als die Silhouetten der Reiter und der Wölfe auf dem Weg längst verschwunden waren.

ENDE

Über Namen:
Liosliath = (elf) Sidhe Burg, auch Silberne Rüstung (Ursprung des Namens Lesley)
Mary = (Maria) ein christlicher Name
Meara = (keltisch) wildes Lachen
Nat'ash'a = (elf) Silberne Leopardin
Nimue = (elf)
Nirage = (elf)
Rhobin = (elf) Feuer, das Element im Herzen des Pentagramms; wird ausgesprochen wie Robin, aber mit einem stärkeren, schärferen R, einem leichten Fauchen zwischen R und O und einem sehr hellen I.
Robin = eine Kurzform von Robert (von strahlendem Ruhm)
Tassanden = (elf) der Tänzer

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